Montag, 25. Mai 2009
Bleibt alles anders
Ein Monat Stille hier auf Fressgewohnheiten - aber kein Monat des Stillstands.

Nach endlos scheinenden Monaten des Zögerns, des Leugnens und der Unzufriedenheit war ich soweit, mich wieder in psychotherapeutische Behandlung begeben zu wollen. Ich wartete also die Sprechzeiten des hiesigen AStA ab und sprach mit einer Dame von der psychologischen Beratungsstelle, die mir essentiell sagte: "Ihre Weigerung, ihr Problem anzugehen hat einen Grund. Ihr persönlicher Leidensdruck ist wohl noch nicht hoch genug - vielleicht muss tatsächlich erst ihre Beziehung in die Brüche gehen." Ich hätte sie am liebsten geohrfeigt für diesen Satz und war deshalb zunächst nicht mehr wirklich aufnahmebereit für das, was sie mir zu sagen hatte. Erst im Nachhinein und im Gespräch mit meinem Partner und Freunden habe ich dann festgestellt, dass sie auch etwas sehr wahres und wichtiges gesagt hat. Nämlich, dass sie sehr viel Angst bei mir wahrnimmt. Angst vor der Veränderung und den Auswirkungen auf mein restliches Leben, aufgrund derer ich es scheue, die Verantwortung für meine Genesung zu übernehmen. Darüber hinaus hat sie auch noch einige ziemlich unqualifizierte Äußerungen zu OA und Selbsthilfe gemacht aber wenigstens mit dem Aspekt der Angst hat sie ins Schwarze getroffen. Das hat mich nachdenklich gemacht. Ich würde mich selbst nie als ängstlich beschreiben. Mit diesen Gedanken trug ich mich eine Weile, um dann, an einem verregneten Freitag ohne klare Tagesplanung, den OA-Dokumentationsfilm des Bremer Meetings einzulegen.
Ich kann noch immer nicht genau sagen, was es war - aber nach Ende der DVD hatte ich das Bedürfnis, in OA Literatur zu lesen und blieb bald an der Arbeit in den 12 Schritten hängen. Und wo ich noch zwei Wochen zuvor klar mit nein geantwortet hatte (nämlich auf die Frage danach, ob man bereit sei, sein Leben zu verändern), antwortete ich jetzt mit JA. Nach kurzer Bedenkzeit fiel mir auch bald eine "höhere Macht" ein, mit der ich mich wohlfühle. Ich, die ich ziemlich areligiös aufgewachsen bin und mit dem Konzept des christlichen Gottes nicht viel anfangen kann, ich kann glauben, dass von jedem Menschen auf der Welt eine weitere, quasi "göttliche" Version existiert. Der Mensch, der MissInterpret sein könnte wenn sie keine Fehler hätte - die ideale Version meiner Selbst, mit meinen Charakteristika und Vorlieben aber ohne meine Macken. Auch das ist natürlich weit entfernt von Logik aber ein Konzept, das mir selbst noch so nahe steht, dass ich mich nicht durch irgendein fremdes, überirdisches Wesen "bevormundet" fühlen muss. Ich kann es trotz meiner üblichen Bockigkeit bei Bevormundung akzeptieren, wenn meine Idealausgabe, meine "große Schwester" wie ich sie zu nennen pflege, mich zurechtweist oder mir Ratschläge erteilt.
Es war mein Durchbruch. Endlich eine höhere Macht, die weiser, gerechter, liebevoller und vernünftiger ist als ich und die mir trotzdem nicht mit erhobenen Zeigefinger begegnet sondern mit Verständnis - sie ist ja schließlich so wie ich. Seit dem 8. Mai 2009 ist es, als wäre eine schwere Last von meinen Schultern genommen. Ich habe endlich das Gefühl, dass sich etwas tut und ich habe viele (wenn auch nicht alle) Tage bisher in Abstinenz verlebt. Ich habe ein größeres Bedürfnis danach, gut auf mich aufzupassen und schaffe es, mein Ego besser im Zaum zu halten. Ab und an drängt sich noch die Sucht in mir in den Vordergrund und ich handle, wie ich es gewohnt bin. Aber es klappt immer besser, Rücksprache mit meiner großen Schwester zu halten und anstelle des Süchtelns das zu tun, was gut für mich und mein Umfeld ist.

Es sind lehrreiche, aufregende und wohltuende Zeiten im Leben der MissInterpret.

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