Sonntag, 8. März 2009
Overeaters Anonymous Teil 2
Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass der OA-Ansatz sinnvoll ist - sinnvoller wenigstens als Weight Watchers, FDH oder sonstwas. Trotzdem habe ich, wie bereits angedeutet, so meine Schwierigkeiten mit dem Programm. Nehmen wir an, man hat zugegeben, dem Essen gegenüber machtlos zu sein und sein Leben nicht mehr im Griff zu haben und hat damit den Weg für Veränderung freigemacht. Ich bin also (hypothetisch) wirklich bereit, mich eines Besseren belehren zu lassen. Dann geht es nun darum, etwas zu finden, das die Sicherheit und 'Orientierung' die das Essen bietet übertrumpfen kann. Die Annahme ist, dass es nicht ausreicht, eine andere Handlung zu finden die das Fressen ersetzt (wie es in meiner Verhaltenstherapie vor zwei Jahren versucht wurde), z.B. statt zu Essen ein gutes Buch zu lesen, sich in die Wanne zu legen, sich einzucremen oder was auch immer einem sonst gut tut. Bevor es daran geht, das Symptom zu bekämpfen soll also zuerst die Ursache bekämpft werden - und hier wird es interessant. Das OA-Programm hat den Eigenwillen des Süchtigen selbst als das Problem erkannt. Damit ist nicht die Durchsetzungskraft oder die Willensstärke gemeint, sondern die beinahe kindliche Trotzigkeit mit der auch ich ständig versuche, es allein zu schaffen. ICH habe eine bestimmte Vorstellung davon, wie die Dinge zu laufen haben, ICH mache die Regeln in meinem Leben und wann immer Probleme auftauchen, veruche ich, sie anhand MEINER Maßstäbe und MEINER Fähigkeiten zu lösen. Laut OA beinhaltet dieses Vorgehen eindeutig zu viel ICH.
Aus meiner persönlichen Geschichte wird deutlich, dass mein Lebensentwurf zwar in vielen Bereichen erfolgreich war bzw. ist aber offenbar dazu führt, dass ich überfordert bin und mir gleichzeitig keine effektive Lösung für dieses Problem anbietet. Das System mit mir als oberstem Befehlshaber und einzigem Ratgeber läuft irgendwie nicht rund. Um aus meiner eigenen Denke und meinen althergebrachten, eingefahrenen Schienen herauszukommen, soll ich mir jetzt eine "Höhere Macht" suchen, die mir den Weg weist.

"Höhere Macht" - für viele Leute ist das gleichbedeutend mit Gott - ich bin Agnostikerin und glaube nicht an Gott. Trotzdem ist es laut OA wichtig, einen Leitstern im Leben zu haben - etwas, nach dem man sich richten kann, eine Art übergeordnetes Prinzip. Da Jesus Christus, Jahwe, Allah und wie sie alle heißen für mich ausscheiden (ich hab was gegen Religion), bedeutet das, dass ich mir Grundsätze suchen muss die mir helfen, mein Leben in geordnetere Bahnen zu lenken als ich das bisher tue. Natürlich hat jeder Mensch Grundsätze, moralische Vorstellungen und so weiter - wäre dem nicht so, lebten wir in einer Anarchie - trotzdem kann ich meine moralischen Prinzipien wie ich sie bisher habe irgendwie nicht auf mich selbst und meine Handlungen anwenden, sie betreffen eher meine Mitmenschen.
Ich muss ein höheres Prinzip suchen, das hinter all meinen Handlungen steht, quasi die Ethik, die ich mir selbst zuteil werden lasse. Ein Grundsatz aller Weltreligionen (zumindest soweit mir das bekannt ist) ist der liebevolle Umgang mit anderen aber auch mit sich selbst - eine Facette der Religion, mit der ich mich durchaus identifizieren kann. Meine Wertvorstellungen müssen außerdem eine Komponente von Wahrheit und Gerechtigkeit enthalten und auf jeden Fall auch rational sein, ohne aber den Sinn für das Schöne zu verlieren. Erst wenn ich mit mir selbst liebevoll umgehe, kann ich das auch in allen Bereichen mit anderen tun. Was immer ich tue sollte fair sein und nicht auf Lügen gebaut, dabei durchdacht und sinnvoll. Grundsätzlich kann ich mich also damit identifizieren, alles was ich tue nach den Prinzipien von Liebe, Vernunft, Gerechtigkeit und Wahrheit auszurichten. Wenn eine Person tatsächlich ein Leben nach diesen Grundsätzen führt, kann eigentlich nichts Schlechtes dabei herauskommen.

Der Trick ist jetzt, diese Grundsätze (zusammengefasst eine höhere Macht nach der ich mich richten kann) auf mich selbst anzuwenden, vor allem dann, wenn das Essen winkt. Wenn ich wieder mal dasitze, nicht weiß wohin mit mir und mein Reflex wäre, etwas zu essen um mich 'rauszunehmen' - in diesem Moment innehalten und mich fragen: Was wäre liebevoll mir selbst gegenüber, was wäre vernünftig, was wäre gerecht? - oder für die Religiösen: Was würde ein Schöpfer der mich liebt wollen, dass ich tue?

Macht Sinn, nicht wahr? Ich muss das jetzt selbst erstmal sacken lassen. Bis bald.
MissInterpret

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