Samstag, 7. März 2009
Overeaters Anonymous Teil 1
Seit etwa einem Jahr besuche ich regelmäßig Treffen der anonymen Esssüchtigen (OA). Diese konzeptuell an die anonymen Alkoholiker angelehnte Selbsthilfegruppe verfolgt (wie AA) ein Zwölf-Schritte-Programm der Genesung. Die Website http://www.overeatersanonymous.de/ ist recht aussagekräftig. Die Grundannahme ist, dass Essgestörte nicht nur eine körperliche Krankheit haben sondern auch seelisch und geistig krank sind. Demnach wird es nie ausreichen, einfach so lange Diät zu halten und Sport zu treiben bis das Übergewicht weg ist weil Überesser geistig noch immer auf das Essen fixiert sein werden, egal, wie sie aussehen. Das Essen (oder auch Nichtessen, bei Menschen mit Anorexie) stellt für uns eine Art Halt dar, auf den wir immer dann zurückgreifen wenn wir in irgendeiner Art und Weise orientierungslos sind. Die zwölf Schritte sollen diese innere Leere nach und nach füllen und einen so weg vom Essen führen.
Das erste Ziel ist, sich klarzumachen, dass man Hilfe benötigt und dass man an der Krankheit sterben wird wenn man weitermacht wie bisher. Bereits dieser Schritt bereitet mir Probleme. Mir ist klar, dass ich krank bin aber es ist nicht so, dass in meinem Leben gar nichts mehr funktioniert, wie das bei anderen Esssüchtigen der Fall ist. Manch einer kommt in eine OA-Gruppe und hat, weil er das Essen über alles andere und seinen Verstand gestellt hat, bereits alles verloren: Den gesunden, funktionierenden Körper, die Arbeitsstelle, die zwischenmenschlichen Beziehungen. Diesen Betroffenen fällt es wahrscheinlich leichter als mir, zuzugeben, dass sie ihr Leben nicht mehr im Griff haben. Dieses Eingeständnis ist aber nötig, um bereit zu werden, sich zu ändern und Hilfe zuzulassen. Vielleicht muss ich tatsächlich erst meinen persönlichen Tiefpunkt erreichen, der mich dazu bringt, zu sagen: SO geht es nicht mehr weiter. ich bin mir nicht sicher, was dieser Tiefpunkt ist und wie weit es mit mir kommen muss, damit ich meiner eigenen Argumentation Glauben schenke...

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Donnerstag, 5. März 2009
About a girl
Wie hat man sich einen Ess-Junkie vorzustellen?

Das Klischee über Süchtige sagt: Freak, Loser, schwach, fertig und vielleicht auch hässlich. Auf mich trifft davon wenig zu, abgesehen von den rund 50kg Übergewicht die ich mit mir herumtrage sehe ich gut aus, bin gepflegt und selbstbewusst. Doch wirklich, ich mag mein Leben. Ich habe eine langjährige, schöne Beziehung mit einem attraktiven Mann, mit dem ich alt zu werden gedenke, ich habe Freunde für die ich die Hand ins Feuer legen würde, ich verstehe mich gut mit meinen Eltern und Schwiegereltern. Ich habe Spaß und Erfolg in meinem Studium, arbeite nebenher in einem angenehmen Uni-Job.

Was mein Problem ist? Ich.

Eigentlich bin ich ganz zufrieden damit, wer und was ich bin - nur eines will ich unbedingt sein: Die Beste. Es ist nicht mal so sehr, dass ich unter allen Umständen andere übertrumpfen muss (denn einige sind ganz klar fitter, schneller oder schlauer als ich) aber diejnigen, von denen ich glaube, sie schlagen zu können will ich schlagen. Ich weiß, was meine theoretischen Fähigkeiten sind und ich dreh am Rad wenn ich merke, dass ich diesen Fähigkeiten nicht gerecht werde. Im Grunde will ich parallel meinem Liebsten beste Freundin, heißeste Geliebte und Hofköchin sein, immer für meine Freunde und Verwandten da sein, mich sozial engagieren, mein Hobby ausüben, die Wohnung in Schuss halten und quasi nebenbei noch Einser-Klausuren und tiefgründige Hausarbeiten abliefern.

Das erscheint viel verlangt? Mag sein, aber so bin ich eben - anspruchsvoll. Mir selbst und anderen gegenüber. Ich will alles nachvollziehen und erwarte, dass eine Person der ich mich unterordnen soll auf dem betroffenen Gebiet eine Kompetenz darstellt - ich bekomme ein Autoritätsproblem wenn ein Vorgesetzter meinen Ansprüchen nicht genügt. Genauso verhält es sich mit mir selbst. Ich habe klare Vorstellungen davon, was ich alles leisten sollte und bin fast schon gekränkt wenn ich hinter meinen eigenen Erwartungen zurückbleibe. Ich habe oft das Problem, geistig nicht abschalten zu können weil mir ständig im Kopf herumgeht, was es alles noch zu erledigen oder bewältigen gilt und häufig lähmt mich dieses Kopfkino dann paradoxerweise völlig. Ich habe das Bedürfnis, mich mental aus diesem Kreislauf zu holen und verschlimmere die Situation, indem ich sinnlos im Netz surfe oder fernsehe, nur um nicht nachdenken zu müssen. Als verlässliche "Hilfe" für diese Flucht vor "zu viel" benutze ich Süßes. Eine positive Prägung auf alles Zuckerhaltige verschafft mir ein momentanes Glücksgefühl, ich schalte geistig ab und versenke mich in den Augenblick und den Geschmack in meinem Mund.

Auf eine gewisse Art und Weise funktioniert diese Taktik sogar: Ich nehme mich heraus aus meinem Kopfkino. Bloß heißt das gleichzeitig, dass ich immer fetter werde, meine Gesundheit und meine zwischenmenschlichen Beziehungen riskiere und viel weniger auf die Reihe bekomme als ich könnte. Ich weiß, wenn ich nicht runterkomme, werde ich früher oder später alles verlieren, was mir lieb ist - zuletzt auch mein Leben.

Wenn ich das weiß, warum mache ich dann weiter? Weil mein Verstand in diese Angelegenheit schon eine ganze Weile nichts mehr zu melden hat.

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